30.04.2013

Prinz Pi - Kompass ohne Norden (2013)






Bob Dylan gab mir einst einen Kompass ohne Norden,
so treibe ich verloren in ein unbekanntes Morgen. –Kompass ohne Norden


Es ist ein kleines Wunder, das da am 12.04.13 das erste Mal über die deutschen Ladentheken gereicht und (hoffentlich nicht zu unsanft) von den DHL-Wägen geschubst wurde. Obwohl von Einigen die HipHop-Hoffnung für Intellektuelle, von anderen durchgestylter Hipster-Kitsch genannt, trägt es offiziell den Namen Kompass ohne Norden. Vater: Friedrich Kautz alias Prinz PI, Mutter: unbekannt (man vermutet, dass „die Gesellschaft“ nicht ganz unbeteiligt war).

Mich hat die Welt zerknüllt. Ich war mal ein weißes Blatt.
Bin jetzt so unbeschrieben wie die Mauern meiner Stadt.
Wenn ich spring, dann um nie wieder zu landen.
Fahr Auto in Gedanken an James Dean in Giganten. –Die letzte Ex

So stimmig und in sich geschlossen waren wohl wenige der Alben, die ich in letzter Zeit gehört habe. Zum einen mag das an den einzigartigen Werkzeugen liegen, mit denen Kautz und Matthias Millhoff da rumgebastelt haben – bzw. an denen sie rumgebastelt haben. Denn wie schon vielmals im Vorfeld erwähnt und betont, kam hier kein Standard Equipment zum Einsatz: es wurde selbst gewerkelt, getüftelt und gelötet. Der Fleiß hat sich ausgezahlt: ein warmer, voller Klang, der aber in den richtigen Momenten nicht zu glatt wirkt.
Dem stilistischen Wandel des ehemaligen Prinz Pornos wurde schon auf den Alben Rebell ohne Grund und Hallo Musik (beide 2011) der Weg bereitet. Darüber muss man nicht groß diskutieren: Menschen verändern sich ebenso wie Künstler. Punkt.

Der Lebenslauf ein Slalom, ich gehe mit dem Wind.
Kein Bild das auf mich passt,
ich weiß nicht, wer ich bin. –Säulen der Gesellschaft

Ein weiterer Grund für den Erfolg des mittlerweile 15. Studioalbums des Berliners (letzte Woche feierte Kompass ohne Norden Platz 1 der deutschen Charts) sind aber nicht minder die brillanten Texte. Ein Bild der Gesellschaft zeichnen, das wollen und machen viele im Moment. Bietet sich ja auch an: so ge- und zerstört wie wir durch das Web 2.0 mit chemische Drogen und strahlenden mobilen Endgeräten im Gepäck hüpfen, sind unsere Großeltern trotz eines Weltkrieges nicht geworden. Mag sein. Ich für meinen Teil finde uns ja alle gar nicht so gehirngefickt, wie wir immer tun, aber dazu mehr an anderer Stelle.

Ich friere in meinem Atelier, während auf der Staffelei
die Leinwand steht, mit dem Großportrait von meiner Zeit. –Moderne Zeiten

Zurück zu Herrn Kautz: Was dieses Gesellschaftsportrait so besonders macht, ist seine Direktheit. Und das mal nicht mithilfe einer handvoll Verallgemeinerungen, denen es vorne und hinten an Inhalt fehlt: Viele kleine Beispiele, Anekdoten, Erinnerungen und Beobachtungen reichen aus, um eine scharfe Skizze zu zeichnen. Man erkennt sich selbst wieder. Albumbesprechungspausendialoge wie „Ey cool, der Prinz scheint James Dean auch zu mögen.“ oder „Man Digga, DeLorean! Das ist doch der aus Zurück in die Zukunft!“ sind denkbar. Hier werden die großen universellen Themen (Liebe, Zukunftsangst, Depression, Orientierungslosigkeit) im Detail auseinandergenommen. Bei solch einer Detailverliebtheit ist das folgende am erstaunlichsten: Auf Kompass ohne Norden wirkt nichts überladen, unnötig oder gar fehl am Platz. Alles passt, alles sitzt und ist auf das Wesentliche reduziert. Ganz ähnlich einer Mathegleichung, deren Lösung erst dann als abgeschlossen anerkannt wird, wenn das Ergebnis vollständig gekürzt und aufsummiert wurde.

Ja wir Deutschen und unsre sklavische Art,
keiner hat damals mitgemacht, keiner hat mitgelacht.
Aber sowohl Hitler als auch Mario Barth
haben beide das Olympiastadion voll gemacht. –Schiefe Pyramiden

Aber da das Leben (leider) keine Mathegleichung ist, können wir bei Kautz’ neuem Album auch nicht auf eine Lösung hoffen. Wir bekommen die Probleme volle Breitseite ins Gesicht gepfeffert, das hilft. Einsicht ist der erste Schritt auf dem Weg zur Besserung. Wie diese Probleme anzugehen sind, muss jeder selbst wissen. Patentlösungen sind für komplexe Gleichungen grundsätzlich ausgeschlossen.

Ich wär’ so gerne dumm, wäre so gerne dumm.
Ich wünschte mir, ich würde mich zufrieden geben
mit einem Standardleben, einem Standardjob, Standardgedanken in einem Standardkopf.
...
Doch dann sah ich dich, sah wie du anders bist.
Eine wie du ist für den Standardkitsch der Antichrist. –Dumm

Und auch, wenn Dylans Kompass wohl immer noch nicht die exakte Himmelsrichtung anzeigt, so kann man doch davon ausgehen, dass der Prinz seinen Weg auch ganz gut allein finden wird. Wenn wir Glück haben, nimmt er uns bis dahin noch ein paar Alben lang mit.

[VÖ:  12.04.13 auf Keine Liebe Records]


Der Film beginnt mit: Suche die eine große Liebe.
Und bezahle dafür mit meinem Frieden seit ich 15 bin.
...
Selbst in der Enge von der miefigen Kleinstadt
spielen unsre Kussszenen auf riesiger Leinwand.
Wo wir auch sind, markieren Balken den Bildrand.
Wir haben weitergemacht als am Set alles still stand. –Glück 


(Prinz PI - Glück) Eines der aktuell 4(!) Videos, die bereits zum neuen Album existieren; Tendenz steigend.

05.03.2013

Dinosaur Jr live: 19.02.13 Postbahnhof, Berlin

Zwar leicht verspätet, aber immerhin noch im selben Monat, hier ein paar Rückblicke auf das Dinosaur Jr Konzert in Berlin.
(oder auch: wie ich einen einzigartigen Bogen von Dinosaur Jr's Liveauftritt zu Herbert Grönemeyer schlug...)


Was mir zunächst erstmal sehr positiv aufgefallen ist: gemischtes Publikum!
Von Teenie über Frührentner über Hipster über Goth über die nervige Petze aus der Schule - alle haben sie sich zusammengefunden.

Ähnlich wie das Publikum war auch die Setlist: Soweit ich das beurteilen (und mich heute noch daran erinnern) kann, wurde kein Album bevorzugt gespielt und es gab sowohl lange als auch kurze, sowohl schnelle als auch (etwas) ruhige Nummern.

Eins wurde allerdings mit allerletzter Konsequenz durchgezogen: Lautstärke! So sehr J Mascis auch in sein Mikro brüllte, die donnernde Gitarrewand vermochte er an keinem Punkt auch nur annähernd zu brechen. Toll war es allemal!



Ob das handgemachte Tourplakat, das ich mir anschließend mühevoll am Merch-Stand erkämpft habe, nun wirklich auf eine Stückzahl 50 bzw. 70 limitiert ist, bleibt zu vermuten - aber auch nur ein winziger Wermutstropfen am Ende eines unfassbar guten Abends. Danke!

Und zum Schluss noch die unfassbar kreative Brücke zu Hebert Grönemeyer: Denn auch die Saurier mögen Musik nur, wenn sie laut ist! :)

(Herbert Grönemeyer - Musik nur, wenn sie laut ist)



12.02.2013

We Are Augustines - Rise Ye Sunken Ships




I'm a bowl of bruised fruit
inside a chapel of shiny apples.


Manche kennen We Are Augustines vielleicht bereits aus dem Abspann des Red Bull Extremsport-Werbeclips mit Überlänge The Art of Flight - so bin ich zumindest auf die Band gestoßen.
Diesen einen Song (The Chapel Song) mehrmals in Endlosschleife und ein paar YouTube-Clips später konnte ich nicht mehr widerstehen und musste mir das ganze Album zuzulegen.

Man muss in der richtigen Stimmung für Rise Ye Sunken Ships sein. Schon allein thematisch ist es sicherlich kein Album für feucht-fröhliche Twisterabende. Es geht um Abschiede, Versagen, Verzagen, Tod. Und auch, wenn er immer mal den Kopf hochreckt, der Aufruf zum Aufbruch zu neuen Ufern, so ist er sicherlich nicht stark genug, um überzeugend zu klingen. Genauso wie die Schellenkränze und spannungsgeladenen Rhythmusgruppen, die immer den ganz großen Refrain ankündigen, meist aber das Versprechen schuldig bleiben. Doch das ist nur minder schlimm, denn so haftet dem Album eine Gelassenheit an, die es ebenso schafft zu überzeugen. Man wird das Gefühl nicht los, dass The Killers, Kings of Leon und Mumford and Sons sich zum Skatspielen getroffen, dann aber doch lieber Musik gemacht haben. Calebs dramatische, kratzige Lead-Vocals, die Killersche Lässigkeit und Modernität und eine ordentliche Portion Folk plus Begleitinstrumente von Marcus und Crew. Und der Heartland Rock hat da auch noch irgendwo seine Finger im Spiel. Der Gesang ist eindringlich, während sich die Instrumente vorwiegend zurückhalten, um ihm Raum und die nötige Aufmerksamkeit zu geben. So ist East Los Angeles schon beinah eine reine Akustik-Version.  Auch wenn es über ein kurzes Gitarrensolo hier und da nicht hinausgeht, wurde die Begleitung nicht dem Zufall überlassen, wirkt durchdacht und liebevoll arrangiert. Im Instrumental am Ende der Platte verkünden die Trompeten dann doch irgendwie den Aufbruch - aber sie sind leise, man muss gut hinhören, vor allem muss man auch selber aufbrechen wollen. 
Und ja, auch meinen Ausgangssatz muss ich korrigieren: Man kann Rise Ye Sunken Ships sicherlich in vielen Stimmungslagen hören, als unaufdringliches Hintergrundgedüdel bietet es wenig Ablehnungspotential. Aber die wahre Schönheit, die entfaltet sich erst, wenn man auch bereit ist ein bisschen dorthin zu gehen, wo es weh tut.


VÖ: 23.08.2011 bzw. 05.03.2012 auf Oxcart Records


And the howling of hardship and heartache
kneeled and grinned in his face.

And here lies my green eyes
rolled back in my head, but they're alive.



10.02.2013

From Here To Fame

Es folgt eine herzlichste Dokumentar-Empfehlung meinerseits:

Style Wars

Eine Doku über die HipHop- aber v.a. die Graffiti-Kultur der 70er und frühen 80er Jahre. Um mir pures Zitieren (was ich im Endeffekt wahrscheinlich versaut hätte, sodass mir mein nicht vorhandener Doktortitel aberkannt und ich dann quasi einen Titel im Minus stehen würde - und das schon vor dem Bachelor!) zu sparen, habe ich mit dem oberen Link einfach mal auf die Website des Projektes verwiesen, auf der eigentlich alle offenen Fragen geklärt werden. Sollte dies nicht der Fall sein, ist meine Wenigkeit dann sowieso nicht mehr im Stande weiterzuhelfen.

"I can sure as hell tell you, that it's a crime."

Am tollsten an Style Wars finde ich, dass das Projekt einfach schon einige Jahre auf dem Buckel hat. Faktisch ist es damit - von heute aus betrachtet - eine geschichtliche Doku. Geht man aber vom Entstehungsjahr 1982 aus, war sie damals ja direkt am Puls der Zeit und schafft es so ohne dauernde Rückblenden (ja gut, es wird kurzzeitig auf die 70er verwiesen, meinetwegen.) und Zeitzeugen, die mittlerweile schon 19823587154 Jahre alt sind, auszukommen. Und ja, jetzt kommt es das nervigste Worte im neuen Jahrzehnt: Authentizität (die, was momentan alle Indie-Bands und Superstar-Teilnehmer gleichermaßen versuchen, aber nur in sehr geringem Maße schaffen, dafür aber die Poetry-Slammer, ja diiee sind alle furchtbar authentisch; was Oma voll drauf hat; überbewertet). Aber wie die Jungs dort mit ihrem Kamm im Haar und der Skibrille auf der Stirn stehen, wie die Mädchen dieses komische Spiel mit den zwei Hüpfseilen spielen (irgendwas mit Double Dutch oder so heißt das doch, nicht?), über das Disney irgendwann auch mal einen Teenie-Film produzierte und wie die ganze Zeit über versucht wird, dieses neue, komische Graffiti irgendwie zu definieren, einzuordnen, wie Polizisten und Bürgermeister höchstmoralisch den Wurstfinger erheben, dass es zuerst einfach darum ging so oft wie möglich seinen Namen in der tristen Stadt zu sehen und noch kein Schwein irgendeinen Begriff von Street Art hatte, wie die kleinen Jungs die großen anhimmeln, geleitet werden, in der Hoffnung irgendwann auch mal ganz groß zu sein, wie sich das erste Mal auf Kopf und Schulter im Stil dieses akrobatisch entarteten Breakdance gedreht wird - all das bereitet einfach unheimliche Freude während der einstündigen Zeitreise in die frühen 80er.

Entdeckt habe ich das gute Stück übrigens im Burgeramt in Friedrichshain, wo es als Hintergrundbeschallung zum mega-leckeren Burger-Genuss (unbedingt zu empfehlen!) lief.

So, und da ja im Internet alle faul sind und in der heutigen Zeit sowieso (und die Jugend, hach, auf die will ich gar nicht erst eingehen...) stelle ich euch alle 5 Teile der Dokumentation gleich hier zur Verfügung. Natürlich, wie sollte es auch anders sein, ist gerade der letzte Teil in Deutschland aufgrund von Musikrechten der GEMA gesperrt. Da ich bis jetzt noch nie richtig Muse und Zeit hatte, mich mit irgendwelchen Hacks rumzuschlagen, bei denen der Laptop und damit auch Youtube und letztendlich auch die doofe GEMA (haharr) denken, ich wäre rechtmäßig nicht-deutsch, musste ich diesen Teil leider auslassen.

Falls jemand anderes also Lust und Zeit hat, mir zu erklären wie das geht, dann steht euch die Kommentar-Funktion jederzeit helfend zur Seite.
Oder ihr fasst mir den letzten Teil einfach in ein paar Zeilen zusammen, wie ihr wollt.









So, und wem das jetzt immer noch nicht Graffiti genug war, hier jetzt noch The MTN Diaries. Zwar auch schon etwas älter, aber ebenfalls sehr sehenswert:



 From Style Wars to Dirty Handz, a handful of graffiti movies definitely marked the previous decades. Today http://www.montanacolors.com and http://www.allcity.fr celebrate the launching of the "94" spraypaint, and take this occasion to support the production of an original movie, The MTN Diaries. The film sticks to the reality of graffiti as it is, and tries without any bias to transcript at its best the energy and raw talent of today’s actors of the scene, whether it’d be in the streets, on trains, on walls or in the galeries.
For this first 34mn chapter shot during summer 2009, meet up with Horphe, Tomek, Se and Gues in the streets of Paris / Seen from New York in his parisian workshop / Metro, Afiler and their sidekicks in Belgium train yards / Twist & Amaze from San Francisco on their journey in Lyon for an unusual performance / Pro & Koolfunc GT and Seb FMK painting in their favorite playgrounds / Honet and his guests for a catacomb mission... Enjoy the show.


Nebenbei lassen sich übrigens super original sündhaft teuer, weil für viel Geld importierte Maccaroni&Cheese mit dem einzigartigen Käsepulver-Überzug spachteln. Die lähmen dann auch dank Fresskoma ausreichend, um den ersten Impuls, mit der kleinen Fahrradlack-Flasche in die Nacht zur Monster-Bombing-Aktion aufzubrechen, erst einmal zu dämpfen.